Streiken hält gesund

Entlastungstarifrunde am Uniklinikum: „Es geht um Menschenleben“

Für die Geschäftsleitung von Asklepios-Rhön scheint die Sache klar: Wenn die Beschäftigten des Universitätsklinikums Gießen-Marburg für mehr Personal streiken, dann richtet sich der Ausstand gegen wen? Antwort der Vorstände: „Gegen uns selber“. Wobei sich mit „uns“ die Belegschaft angesprochen fühlen soll, als ob dieser das Klinikum gehöre. Droht es im Klassenkampf ungemütlich zu werden, sollen sich Lohnabhängige und Ausbeuter plötzlich als Wir einer großen Familie fühlen.

„Entlastung für uns am UKGM erreichen wir nur, wenn es uns gelingt, mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für uns zu gewinnen“, behauptet die Geschäftsführung. „Wir sollten alle bemüht sein, dass die Freude des gemeinsamen Arbeitens an einer großartigen Aufgabe wieder sichtbarer wird.“ Schuld an der „hohen Arbeitsdichte“ ist demnach der Fachkräftemangel: Hach, es ist so schwer, heute gutes Personal zu finden!

Hört man dagegen die Berichte aus dem Arbeitsalltag am Klinikum, klingt es so gar nicht nach „Freude des gemeinsamenArbeitens“. Bei einer Stadtversammlung in Marburg Anfang Februar 2023 erzählten Beschäftigte, was sie im Job erleben:

Selina, Hebamme im Kreißsaal:

Wie immer unterbesetzt, wie immer nur mit drei Hebammen im Dienst. Im Raum ganz am Ende liegt die Frau, die in wenigen Stunden ein totes Kind bekommen wird. Drei Hebammen, die von Raum zu Raum rennen, um irgendwie nur ansatzweise all den Frauen gerecht zu werden. Zwei gesunde Kinder sind bereits geboren. Jetzt klingelt es. Man flitzt in diesen Raum, weil es auch so unglaublich wichtig ist, für diese Frau da zu sein. Also heißt es, Schalter umlegen und die Freude der letzten fünf Minuten ausblenden. Draußen klingelt es zum zehnten Mal an der Tür, das Telefon klingelt in Dauerschleife und die Frau nach dem Kaiserschnitt möchte gerne Stillen und ein Schmerzmittel. – Wir wollen am Ende eines Dienstes nach Hause gehen und nicht überlegen, ob wir irgendwo eine Frau vergessen haben.

Florian, Hol- und Bringedienst:

Wir transportieren sämtliche Blutproben, die dem Patienten entnommen werden, zur Analyse in die Labore, transportieren Apotheken- und Lagermaterial auf Stationen, versorgen die Stationen mit Essen. Viele Mitarbeiter sind überlastet, deprimiert, weil sie ihren Ansprüchen nicht mehr gerecht werden. In einem normalen Früh- oder einem Spätdienst für acht Personen sind wir teilweise nur noch zu sechst. Wir machen mehrere Etagen, mehrere Bereiche gleichzeitig. Wir haben keinen Ausgliederungsschutz. Wir haben Mitarbeiter, die Mitte oder Ende 50 sind oder kurz vor der Rente stehen und die quasi Existenzängste haben. Sie wissen nicht, wie es mit uns weitergeht.

Lea, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin auf der Neugeborenen-Intensivstation:

Ein kleiner Patient muss in ein anderes Krankenhaus gebracht werden. Aufgrund des aktuellen hohen Arbeitsaufkommens und diverser Krankmeldungen bot ich an, an meinem freien Tag den Transport zu übernehmen. Der Transport beginnt um 9.30 Uhr am Morgen und zurück auf Station waren wir fünf Stunden später. Ich gehe nach Hause. Um halb fünf erreicht mich ein Anruf einer Kollegin. ‚Kannst du bitte reinkommen? Unsere Kollegin ist auf der Nachbarstation. Wir haben noch zwei weitere Aufnahmen.‘ Ich habe keine Rufbereitschaft. Ich habe frei. Aber kann ich die Station im Stich lassen? 20 Minuten später eile ich bereits in Dienstkleidung auf Station. Zwischen Beatmung anpassen, Blutkontrollen und Nahrung verabreichen dokumentiere ich meine beiden Aufnahmen. Die Pflegekraft von der anderen Station kommt zurück. Ich mache eine Übergabe und gehe um halb acht am Abend nach Hause. Ich hatte frei. Kein normaler Donnerstag, aber auch keine Seltenheit.

Nilüfer, Lungenstation:

Ich wusste schon, dass wir unterbesetzt sind und dass eine Kollegin mich unterstützen sollte, die eigentlich die Station noch gar nicht kannte. Ich wusste nicht, wo ich anfangen soll. Ich wusste nicht, wie ich die Kollegin, die die Station nicht kannte, einarbeiten sollte. Es waren Schüler, die im ersten Einsatz waren, die auch Unterstützung gebraucht haben und auch teilweise Fehler gemacht haben. Es geht hier um Menschenleben. Man hat einfach keine Zeit mehr für Patienten, keine Zeit für Angehörige.

Gewerkschaftssekretär Fabian Dzewas-Rehm von ver.di weiß aufgrund solcher Erfahrungsberichte, was davon zu halten ist, wenn die UKGM-Geschäftsführung die chronische Unterbesetzung auf den Fachkräftemangel schiebt: „Es gibt keinen Mangel an Fachkräften, sondern einen Mangel an Fachkräften, die unter diesen Bedingungen im Krankenhaus arbeiten wollen.“ ver.di verweist exemplarisch auf die Charité: Das Berliner Uni-Klinikum habe im ersten Jahr nach der Einführung seines Tarifvertrags Entlastung mehr als 500 Pflegekräfte neu einstellen können.

Am 24. März traten die UKGM-Beschäftigten in Ausstand, um Entlastung durch mehr Personal durchzusetzen. Täglich legten etwa 1.000 Beschäftigte die Arbeit nieder, schreibt die ver.di-Bundesleitung, etliche Stationen am Klinikum blieben geschlossen, Operationen wurden verschoben. Ende März brachte ver.di über 3.000 Menschen bei einer Solidaritätsdemonstration auf die Straße. Nach drei Wochen Streik, am 14. April, einigte sich ver.di mit der UKGM-Geschäftsführung auf Eckpunkte für einen Tarifvertrag Entlastung.

Zum Weiterlesen: https://krankenhausbewegung-ukgm.de