Nach der Tarifrunde ist vor der Tarifrunde, so viel ist klar. 2024 wird es wieder so weit sein; wir werden mit dem Land Hessen verhandeln. Eine Frage wird schon jetzt bei den Beschäftigten diskutiert: Was ist mit der sogenannten Inflationsausgleichsprämie?
Aber was ist eigentlich die Inflationsausgleichsprämie? Und noch viel wichtiger: Wollen wir das?
Was ist die Inflationsausgleichsprämie?
Im Rahmen des dritten Entlastungspakets hat die Bundesregierung die Möglichkeit zu einer Inflationsausgleichsprämie angekündigt. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Prämie, die die Bundesregierung allen Arbeitnehmer*innen zahlen will. Vielmehr erklärt sich die Bundesregierung bereit, keine Steuern zu erheben, wenn Arbeitgeber ihren Arbeitnehmer*innen eine Sonderzahlung bis zu 3.000€ zahlen wollen.
Es handelt sich dabei um einen steuerlichen Freibetrag. Voraussetzung für die Steuerfreiheit ist, dass die Leistung zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt wird.
Quelle
Die Inflationsausgleichsprämie ist also ein wirtschaftspolitischer Anreiz. Für Arbeitgeber soll es attraktiv und unkompliziert sein, einen Ausgleich zur stark gestiegenen Inflation zu leisten. Für einen Inflationsausgleich hätte die Bundesregierung einige Instrumente zur Auswahl gehabt, entschieden hat sie sich für ein Instrument, mit dem wir seit dem letzten Abschluss zum Tarifvertrag Hessen Erfahrung haben, eine Einmalzahlung.
Was ist nun aber von Einmalzahlungen zu halten? Welche Erfahrungen haben wir mit den beiden Corona-Sonderzahlungen gemacht?
Tarifergebnis 2021
Schauen wir zurück auf das Ergebnis der Tarifverhandlungen 2021. Während das Innenministerium davon sprach, dass es deutliche Verbesserungen für die Tarifbeschäftigten gegeben hätte, hat die neue Laufzeit mit einer Nullrunde für alle Beschäftigten begonnen. Erst ab August 2022 hat es eine Steigerung der Tabellenentgelte von 2,2% gegeben und ab August 2023 soll noch einmal um 1,8% (und mindestens 65€) erhöht werden. Schon damals war klar, dass dieses Ergebnis zu Reallohnverlusten führen wird1. Um diese maue Entgeltsteigerung2 besser zu verkaufen, wurde zu einem altbekannten Mittel gegriffen, der Einmalzahlung.
Für reguläre Vollzeitbeschäftigte wurde eine Sonderzahlung von zwei Mal 500€ gezahlt. Auszubildende und Praktikant*innen bekamen zwei mal 250€. Bei Teilzeitbeschäftigten wurde die Höhe entsprechend der monatlichen Arbeitszeit reduziert, so dass eine Teilzeitkraft mit 50% zwei Mal 250€ erhalten hat. Um die Sonderzahlung als Bonusleistung für den unermüdlichen Einsatz der Beschäftigten während der Corona-Pandemie zu tarnen, wurde die Zahlung “Corona-Sonderzahlung” genannt.
Im Anschluss an die Tarifrunde habe ich durchgerechnet, wie hoch eine prozentuale Lohnsteigerung bis August 2022 hätte ausfallen müssen, damit am Ende der Vertragslaufzeit die Beschäftigten das gleiche Bruttoeinkommen gehabt hätten. Hier zeigt sich eine Stärke einer Einmalzahlung:
Ein Verwaltungsangestellter in der Entgeltgruppe 6 (Stufe 2) hätte im November eine Tariferhöhung von 1,319% bekommen müssen, um ohne Corona-Sonderzahlung im Januar 2024 auf das gleiche Bruttoentgelt zu kommen.
Bei einer Stelle als Data Scientist in der Entgeltgruppe 10 (Stufe 2) wäre eine Tariferhöhung von 1,029% nötig gewesen. Bei einer Referentin für digitale Informationssysteme in der Entgeltgruppe 13 (Stufe 2) hätte schon eine Tariferhöhung von 0,86% für das gleiche Ergebnis gereicht.
Die Beschäftigten in den unteren Entgeltgruppen profitieren stärker von der Sonderzahlung. Die Sonderzahlung funktioniert also ähnlich wie eine Tariferhöhung durch einen Festbetrag, da sie sich, anders als eine prozentuale Erhöhung, für Beschäftigte mit geringem Einkommen besonders lohnt.
Der Haken
Es gibt nur einen Haken: Die Zukunft. Reinhard Bispinck (bis 2017 Leiter des WSI-Tarifarchivs) hat in seinem Artikel Tarifliche Pauschal- und Einmalzahlungen – Praxis, Risiken und Nebenwirkungen eine Modellrechnung für den Fall einer Sonderzahlung ohne Anpassung der Tabellenentgelte gemacht. Er zeigt, dass Einmalzahlungen, die Anstelle einer prozentualen Erhöhung gezahlt werden, zu einem Verlust in der Lohnsumme führen. Dabei hat er noch nicht einmal einberechnet, dass diese entgangenen Prozente auch in zukünftigen Tarifrunden mitwirken. Denn die nächste prozentuale Steigerung basiert auf den bisherigen Tabellenentgelten. Ohne eine erste Erhöhung ergibt eine Erhöhung von 2% bei 2000€ Grundgehalt 2040€. Mit einer vorherigen Erhöhung von 2% auf 2.040€ ergibt eine weitere Erhöhung von 2% ein Grundgehalt von 2.080,80. Das mag zwar nicht nach viel klingen, aber dieser Effekt zeigt sich bei jeder weiteren Erhöhung.
Noch ein Haken
In die bisher genannten Zahlen ist noch nicht die Inflation eingegangen. Sie wirkt sowohl in Bezug auf das Entgelt als auch auf die Einmalzahlung.
Klar ist, dass die Beschäftigten weniger für ihr erarbeitetes Geld kaufen können, wenn die Lohnsteigerung geringer ausfällt als die Inflation im gleichen Zeitraum. Das nennen wir Reallohnverlust. Wenn die Waren und Dienstleistungen zwei Prozent teurer werden, der Lohn aber nur um 1% steigt, kommt es zu einem Kaufkraftverlust von einem Prozent. Wenn Löhne gar nicht steigen (wie im Zeitraum bis August 2022), dann schlägt die gesamte Inflation als Reallohnverlust zu Buche.
Anders sieht es bei der Einmalzahlung aus. Dabei kommt es darauf an, was ich mit der Einmalzahlung mache. Wenn ich meine Einmalzahlung direkt ausgebe, dann hat die kommende Inflation auf dieses Geld keinen Einfluss mehr. Wenn ich das Geld aber sparen will, dann verliert das Geld durch die Inflation an Kaufkraft, wenn ich es unter das Kopfkissen packe; wenn ich es auf dem Sparbuch lasse, kommt es ganz drauf an, wie hoch die Zinsen sind.
Die komplette Kaufkraft der Einmalzahlung konnten nur diejenigen ausschöpfen, die entweder wirtschaftlich so gut dastehen, dass sie das Geld direkt ausgeben konnten, oder diejenigen, die wirtschaftlich so schlecht dastehen, dass sie das Geld sofort ausgeben mussten.
Und nun?
Auch in der vor Kurzem abgeschlossenen Tarifrunde im Öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen gab es für die Arbeitgeberseite die Möglichkeit, für einen ordentlichen Inflationsausgleich zu sorgen und die Inflationsausgleichsprämie zusätzlich zu einer prozentualen Lohnsteigerung zu gewähren. Leider hat sich hier der Arbeitgeber dazu entschlossen, die Inflationsausgleichsprämie als Instrument zu nutzen, um die Steigerung der Tabellenentgelte niedrig zu halten. Und das, obwohl die Verhandlungsführerin der Arbeitgeber Nancy Faeser zur selben Koalition gehört, die die Inflationsausgleichsprämie auf den Weg gebracht hat.
Die Erfahrung mit der Corona-Sonderzahlung in der Tarifrunde 2021 zeigt deutlich die Probleme von Einmalzahlungen auf. Gerade für Beschäftigte mit akuten finanziellen Problemen kann eine Inflationsausgleichsprämie schnelle Linderung verschaffen. Aber so lange es keine substanzielle Erhöhung in den Tabellenentgelten gibt, kommt die Linderung zu einem hohen Preis. Jedes Prozent entgangener Lohnsteigerung kostet den Beschäftigten Kaufkraft. Und jeder Verlust an Kaufkraft macht es gerade Geringverdiener*innen schwerer, ihr Auskommen zu bestreiten, ihre Familie zu versorgen oder für das Alter vorzusorgen.
Die Lücken, die Lohnzurückhaltung einmal aufgerissen hat, werden nicht auf wundersame Weise wieder geschlossen. Im Gegenteil, auch in Zeiten mit stabilerer Preisentwicklung und niedriger Inflation wird argumentiert, dass es keine “zu hohen” Lohnabschlüsse geben dürfe, da es ansonsten zu hoher Inflation kommen würde, die zukünftigen Generationen belaste oder weil die Kassen der öffentlichen Haushalte leer seien. Jede Zeit hat ihre eigene Ausrede, warum Lohnerhöhungen gefährlich wären – die jetzige ist die Lohn-Preis-Spirale.
Es ist vollkommen richtig, jetzt die 3.000€ Inflationsausgleichsprämie zu fordern. Gerade die Beschäftigten in den unteren Lohngruppen brauchen einen Ausgleich für die explodierten Kosten, so viel ist klar. Die hessische Landesregierung kann hier zeigen, wie wichtig ihr die Tarifbeschäftigten des Landes sind, indem sie die Inflationsausgleichsprämie noch vor den Tarifverhandlungen ausbezahlt. Eine Kopplung an eine Tarifverhandlung sieht die Regelung der Bundesregierung nämlich nicht vor. Denn es geht nicht um den Ausgleich der Inflation in der Zukunft. Es geht um den Ausgleich der Inflation in der unmittelbaren Vergangenheit.
Von selbst werden wir den Ausgleich für die Inflation in der Vergangenheit (also die Inflationsausgleichsprämie) und in der Zukunft (ordentliche Tarifsteigerungen) aber nicht bekommen. Wir müssen uns gut auf die Tarifrunde vorbereiten, mit unseren Kolleg*innen ins Gespräch kommen und wieder mehr werden. Jede erfolgreiche Tarifrunde zeigt, dass gute Forderungen und gute Organisation dazu führen können, dass Arbeitgeber mehr für ihre Beschäftigten übrig haben als warme Worte. Lasst es uns zusammen angehen!
1: Bis 2021 hat die Europäische Zentralbank (EZB) ein Inflation von maximal 2% angestrebt, dieses Ziel aber aufgeweicht. Das heißt in der Summe, dass selbst wenn die EZB ihr Ziel erreicht hätte die Inflation auf maximal 2% zu begrenzen, hätte nur im Zeitraum zwischen August 2022 und August 2023 die Möglichkeit bestanden, dass es nicht zu Reallohnverlusten kommt. Wie gut es für diese Möglichkeit aussah, lässt sich daran ablesen, dass die Inflation 2021 schon bei 2,3% lag.
2: Dass die Steigerungen mau sind, wusste auch das Land. Nicht umsonst hat das Minsiterium am Ende seines Beitrags begründet, warum es mit der Tarifsteigerung geknausert hat: “Im vergangenen Jahr musste Hessen angesichts der Corona–Pandemie 2,3 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen, um wichtige Investitionen im Landeshaushalt zu ermöglichen. Zudem wird das Land Hessen nach der aktuellen Steuerschätzung infolge der Pandemie von 2020 bis 2024 rund 6,3 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen haben.” Quelle
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