Portrait: Friederike Klinke

Runter vom Sofa! ver.di-Sprecherin Friederike Klinke

„Wenn ich mich dreckig mache, habe ich etwas Sinnvolles gemacht!“ ver.di-Gewerkschafterin Friederike Klinke

Die Kinder trauen sich nicht so richtig, auch wenn eine Kuh schon die Zunge herausstreckt, um eine Hand zu lecken. Sanfte Hügel leuchten im Grün aller Schattierungen, als die Gewerkschaftsgruppe samt Familienanhang die Heimat ihrer jungen Kollegin besucht. Was sie sehen, wirkt wie im Bilderbuch: Die Burg hoch oben im Wald, das Dorf zu ihren Füßen, das zutrauliche Vieh auf der Weide. Auf den zweiten Blick schaut das Idyll nach viel Arbeit aus.

Erst kam das Federvieh. Als Friederike Klinke mit ihrem Mann in das kleine Dorf unterhalb von Burg Herzberg zog, sagte sie: Ich brauche jetzt erst einmal Hühner! „Ich kenne das“, sagt die Osthessin: Sie wuchs nicht weit entfernt in einem einsamen Forsthaus auf, die Familie hielt Schafe und Enten. „Ich wollte auch schon immer eine Kuh haben“, erinnert sie sich, „die sollte Erna heißen.“ Also schaffte sie Rinder an. Der Vorbesitzer des neuen Hauses besaß ein paar Schafe, als er verkaufte, sagte er: Die Schafe gehören dazu. Jetzt gehören die Schafe Friederike und Patrick, ihrem Mann.

Die Kollegen an der Marburger Uni und in der betrieblichen ver.di-Gruppe kennen Friederike Klinke als sachkundige Projektleiterin, als engagierte und umsichtige Gewerkschafterin. Seit etlichen Jahren amtierte sie an der Uni als eine der Sprecherinnen der ver.di-Vertrauensleute. Der Gewerkschaft beizutreten, „das macht man einfach so“ in ihrer Familie, bekennt sie: Schon ihr Vater war als Förster in der IG BAU.

Es ist nicht einfach, ihr zwischen Job, politischer Arbeit, Heim und Familie die Zeit für ein Gespräch abzutrotzen. Der Arbeitsweg nach und von Marburg ist weit, nach Dienstschluss oder Gewerkschaftsterminen macht Friederike sich rasch auf nach Hause, zu Mann und Kindern. Aber kurz vor ihrem Abschied von Marburg erübrigt sie doch noch eine Stunde, um über ihr Engagement, ihre Motivation und ihre Erfahrungen zu sprechen. Der Abschied, er ist endgültig. Denn im Frühjahr 2023 hat Friederike die Uni und damit auch die Betriebsgruppe verlassen, um an die Hochschule Fulda zu wechseln.

Friederike Klinke studierte Politologie in Frankfurt, das hatte den richtigen Abstand von zuhause – nicht so nah wie Marburg, nicht so weit weg wie Berlin. Am Wochenende wollte sie immer heim zu ihrem heutigen Mann, die beiden sind schon seit ihren Teenagerjahren zusammen. „Die Partnerschaft steht für mich über allem“, sagt Friederike mit Nachdruck. Nach „Erasmus“-Auslandsjahr in Litauen und einem beruflichen Zwischenspiel in Speyer wechselte sie 2014 in die Marburger Univerwaltung, wo sie für digitale Projekte zuständig war. 2018 kam ihr Sohn Philipp zur Welt, zwei Jahre später folgte Mathilda.

Man könnte meinen, dass Familie, Job und Landwirtschaft völlig ausreichen, um die Tage auszufüllen. Friederike aber amtiert auch noch als SPD-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat und als Ortvorsteherin im Dorf. „Wahrscheinlich habe ich das geerbt“, vermutet sie, „schon mein Urgroßvater war in der SPD.“ Sie selbst trat der Partei bei, als die AfD stark wurde.

Ohne Friederikes kontinuierliche, integrierende Organisationsarbeit wären die Aktivitäten von ver.di an der Uni Marburg in den vergangenen zehn Jahren nicht möglich gewesen, das weiß sie selbst. Wieviel Mühe hinter den öffentlichen Manifestationen steckt, sieht man von außen gar nicht. „Ich arbeite ab, was ansteht und wirke dabei sehr ruhig“, beschreibt sie sich selbst, „auch wenn mein Mann sagt, ich würde mich immer aufregen.“ Sie kann nämlich auch zornig werden, gibt sie zu: Wenn sie sich ungerecht behandelt fühlt.

Mann und Kinder, Schafe und Rinder, Gemeinderat, Ortsvorsteherposten, Gewerkschaft und Job – wie schafft jemand das alles? „Man kann das gut organisieren“, erklärt Friederike. „Wir schauen abends nicht fern, sondern kümmern uns um die Tiere“. Wenn Schafe, Rinder, Hühner und Hund versorgt und die Kinder im Bett sind, beginnt die Schreibtischarbeit für die SPD und für ver.di. Natürlich muss man dafür geschaffen sein, besonders für die Tierhaltung. „Nur auf dem Sofa sitzen – da würde ich wahnsinnig werden“, bekennt sie. „Wenn ich mich dreckig mache, habe ich etwas Sinnvolles gemacht!“