Herbst 2021, es holpert gehörig bei der Wahl des neuen Marburger Unipräsidenten, da fühlt sich eine Hochschullehrerin und Senatslisten-Sprecherin genötigt, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachzutreten und zu subsummieren: Die Wahl des Präsidiums solle doch bitteschön der Professor*innenschaft überlassen sein, die weiteren Statusgruppen wären nicht in der Lage, ihre Interessen gegenüber dem Hochschulrat zu vertreten.
Universitäten sind selbstverwaltet, genießen den Schutz des Staates und stehen unter seiner Aufsicht – so steht es im Artikel 60 der Hessischen Verfassung von 1946. Was heißt das konkret?
Spätestens alle zwei Jahre werden die wesentlichen Gremien der Hochschulen neu besetzt: auf Ebene der Fachbereiche die Fachbereichsräte, auf zentraler Ebene der Senat. Dieser wählt nicht nur das Präsidium, sondern ist auch an wesentlichen Weichenstellungen beteiligt: Ohne seine Konsultation gibt es keine Grundordnung, kein Budget, keine Berufung, keine strategische Planung und keine Satzung, wie zum Beispiel Promotions- und Studienordnungen es sind.
Es gibt an den Hochschulen jedoch eine Besonderheit: Während bei allen anderen Selbstverwaltungen nach dem Prinzip „ein Mitglied, eine Stimme“ verfahren wird, ist im akademischen Bereich die Aufteilung in vier „Statusgruppen“ zu finden: Die Mitglieder der Hochschule werden in die „Professorengruppe“, die Studierenden, die „wissenschaftlichen Mitglieder“ und die „administrativ-technischen Mitglieder“ unterteilt, die in den Gremien vertreten sind. Die Studierenden wählen ihre Vertreter*innen jährlich neu, alle übrigen Gruppen alle zwei Jahre. Und, am Wichtigsten: Die zahlenmäßig kleinste Gruppe der Professor*innen hat in jedem Gremium eine Mehrheit, indem ihnen die Hälfte der Mandate zusteht – die andere Hälfte teilt sich auf die übrigen Gruppen auf.
Blicken wir einmal auf die letzten Wahlen für den Senat der Philipps-Universität, die im Sommersemester 2022 stattgefunden haben. Da fällt auf, dass die vier Statusgruppen gar nicht so homogen zu sein scheinen, wie man glauben könnte:
Bei den Professor*innen buhlten die Listen „Leben – Wissen – Forschung“ (29 Kandidat*innen, erreichte drei Sitze), die „Unabhängige Liste“ (31 Kandidat*innen, drei Sitze) und die Liste „Demokratische Initiative“ (13 Kandidat*innen, drei Sitze) um die neun zu vergebenden Sitze. Die Liste „Leben – Wissen – Forschung“ besteht bis auf drei Personen ausschließlich aus Professsor*innen des Fachbereichs Medizin. Wahlberechtigt waren in der Gruppe 386 Personen.
Bei den wissenschaftlich Beschäftigten traten die Listen „Initiative Lahnberge Senat 2022“ (13 Kandidat*innen, 1 Sitz), die „Liste Sachlichkeit“ (23 Kandidat*innen, 1 Sitz) und die Liste „Promovierende und GEW/ver.di“ (11 Kandidat*innen, 1 Sitz) für die drei zu besetzenden Sitze an. Auffällig hier: Bei der „Initiative Lahnberge Senat 2022“ und auf der „Liste Sachlichkeit“ finden sich nur unbefristet Beschäftigte unter den Kandidat*innen, die meisten aus den Fachbereichen. Auf der Liste „Promovierende und GEW/ver.di“ sind drei unbefristet Beschäftigte zu finden, die übrigen neun sind befristet; zwei Personen arbeiten an zentralen Einrichtungen. In dieser Statusgruppe waren 2.498 Personen wahlberechtigt.
Bei 20.895 wahlberechtigten Studierenden traten für die drei Mandate neben der „Juso-Hochschulgruppe“ (drei Kandidierende, ein Sitz), der Liste „SDS – links.grün.feministisch“ (vier Kandidat*innen, ein Sitz) sowie der „Liberalen Hochschulgruppe“ (vier Kandidierende, ein Sitz) noch die „Rosa Liste“ (zwei Personen), die „Internationale Liste“ (zwei Personen) und die Liste „RCDS Marburg“ (sechs Kandidierende) an, die allesamt leer ausgingen.
Für die 1.864 wählenden administrativ-technischen Mitglieder der Universität trat nur die Liste „ver.di – Technik und Verwaltung“ mit sieben Kandidat*innen aus den zentralen Einrichtungen und Fachbereichen an – hier kam es zu einer Personenwahl. Zu besetzen waren zwei Mandate.
Schaut man sich einmal die Verteilung der Mandate und die Namen der Listen an, könnte man auf die Idee kommen, dass es im Senat durchaus knirscht. Aber: Wie so oft ist es komplizierter. Im Senat prallen nicht nur unterschiedliche Statusgruppen mit unterschiedlicher Mächtigkeit aufeinander, sondern auch ganz unterschiedliche Lebenseinstellungen und Ziele. Da sitzen Naturwissenschaftler*innen aus recht gut finanziell ausgestatteten Arbeitsbereichen mit Vollzeitmitarbeiterstellen einer Sozialwissenschaftlerin gegenüber, die nur eine Viertel Sekretariatsstelle zur Verfügung hat. Ein Klinikdirektor muss sich damit beschäftigen, dass eine Studentin Sitzungsgeld beantragt, weil sie ihr Senatsmandat neben Studium und Nebenjob nicht leisten könnte. Und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter aus einer Buchwissenschaft wundert sich über den enormen Stromverbrauch eines Großgeräts auf den Lahnbergen.
Manchmal gehen die Risse in der Diskussion aber auch eng an den Statusgruppen entlang: Während drei Statusgruppen, die etwa 25.000 Universitätsmitglieder repräsentieren, den Antrag einbringen, dass die Unterlagen, die der Senat zur Vorbereitung und Beratung erhält, zumindest hochschulöffentlich verfügbar sein sollen, meinen die Vertreter*innen der weniger als 400 Professor*innen, dass das gar nicht nötig sei, denn die Unterlagen wären ja innerhalb der Listen ohnehin bekannt. Eine Arbeitsgruppe wird gegründet, um den Konflikt zu entschärfen; am Ende steht der Kompromiss, dass alle Unterlagen, bei denen der Datenschutz nicht dagegenspricht (wie z.B. bei Berufungsangelegenheiten und dem Budget, na klar!) in eine hochschulöffentliche „ILIAS“-Gruppe gestellt werden. Ein Erfolg!
Ebenso ist ein wachsames Auge auf die vielen Satzungen nie verkehrt: So waren Ethikkommissionen an den Fachbereichen bisher ohne die Beteiligung der administrativ-technisch Beschäftigten ausgestaltet, das wird in Zukunft nicht mehr so sein, denn die Perspektiven aller an Wissenschaft Beteiligten müssen abgebildet werden. Auch ein Erfolg!
Die Beratungen im Senat wären nicht möglich, wenn nicht in Ausschüssen und Kommissionen Themen vorbereitet und ausgehandelt würden. Nur ein paar Beispiele: Da gibt es den Vertrauensrat zum Schutz vor sexualisierter Belästigung und Gewalt. Im Senatsausschuss für Studium und Lehre wird jede Änderung von Studien- und Prüfungsordnungen besprochen. Im Budget-Ausschuss werden alle Anstrengungen unternommen, durch die komplexe Hochschulfinanzierung durchzusteigen und Perspektiven zu entwickeln – ein schwieriges und weites Feld. Wer in die Details der lokalen Hochschulpolitik reinschnuppern möchte, findet zweifelsfrei auch ein übersichtliches Betätigungsfeld und nicht das Drehen an den großen Rädern.
Am sichtbarsten wird der Senat immer dann, wenn die Spitzenpositionen an der Universität zu besetzen sind, so zum vorerst letzten Mal im Jahr 2021, als Präsidentin Katharina Krause das Ende ihrer Amtszeit erreichte. Gemäß der Wahlordnung bildete sich eine Findungskommission aus Senat und Hochschulrat, die die Nachfolge in der Hochschulleitung ausschrieb und die Bewerbungen vorsortierte. Doch nach öffentlicher Anhörung der vier Übriggebliebenen legte die Findungskommission dem Senat einen Wahlvorschlag vor, der nur eine einzige Person enthielt, also auf Zustimmung oder Ablehnung hinauslief – und mit dem der Senat so gar nicht einverstanden war. Die Liste ging zurück und hinter den Kulissen kam einiges in Bewegung: Schließlich hatte der Senat doch die Wahl zwischen denen, die öffentlich angehört worden waren. Am Ende stand ein neuer Präsident – aber das war kein so glattes Verfahren, wie man es sich anfangs vorgestellt hatte. Und in der FAZ war nachzulesen, was eine hochschulpolitisch aktive Professorin von der Mitsprache anderer Statusgruppen im Senat hält.
Die regulären Senatssitzungen finden in der Regel einmal monatlich statt – im Sitzungssaal kommen dann das Präsidium, die 17 stimmberechtigten Mitglieder, deren 17 Stellvertreter*innen, einige Beschäftigte der Verwaltung und Leute aus den Fachbereichen, Vertreter*innen von Personalrat, Studierendenschaft, Frauenbeauftragten sowie der Öffentlichkeit (meist in Gestalt von Manfred Hitzeroth von der Oberhessischen Presse) zusammen – es wird also bisweilen recht eng. Die Sitzungen folgen einem festen Schema, so gibt es eine Berichts- und Fragerunde mit dem Präsidium. Oft entstehen gerade hier Diskussionen, denn die Themen sind stets aktuell und regen oft zum Widerspruch an. So merkt man beim Thema Geld sofort, dass es Einigen unter den Nägeln brennt: Immer wieder ist zu hören, an welchen Ecken es an den Fachbereichen und Einrichtungen knirscht, teils bis sich die Balken biegen. Nicht nur fehlt Personal, auch die Ausstattung der Arbeitsplätze, der bauliche Zustand der oft historischen Gebäude, die Situation des Personals am privatisierten Klinikum und die Zusammenarbeit mit der Verwaltung regen zu Debatten an. Nur: Hier einfache Lösungen zu finden, gelingt meist nicht spontan. Es zeigt sich aber ein Bild von der Komplexität der unterschiedlichen Disziplinen. Wenn die Sitzung gegen 18 Uhr dann vorbei ist, wenn die Tierschutzbeauftragte über die in der Forschung „verbrauchten“ Karpfen berichtet hat, die CO2-Reduktionspläne und der Frauenförderplan vorgestellt wurden, ist die Luft oft auch raus. Aber die Berichte und Diskussionen haben einen weiten Blick auf die Universität eröffnet, und die Themen für die nächste Besprechung der eigenen Senatsliste sind gesetzt.
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